Ein Offizier und Gentleman

Lange galt der schwedische Komponist Bernhard Henrik Crusell als Geheimtipp unter Klarinettisten, inzwischen haben seine Konzerte den Weg auf die Konzertbühnen gefunden. Kein Wunder angesichts der hinreißenden Musik, mit der Crusell – selbst ein Klarinettenvirtuose von internationalem Rang – das frühromantische Repertoire bereichert hat. Crusells Werke brauchen den Vergleich mit Webers und Spohrs Klarinettenliteratur nicht zu scheuen.
„Das Concert [op. 11 ] und Air varié für Clarinette muss ich ganz umschreiben, den[n] ich bin doch nicht ganz zufrieden mit diesen, und ich hoffe sie in mehrerer Hinsicht zu verbessern. Ich bin mit meinen zum Druck bestimmten Arbeiten vielleicht zu gewissenhaft; aber die Kunst ist ja dem Künstler das Höchste, und da muß ja die qualität mehr wie die quantität gelten“
-Brief an C. F. Peters vom 20. Oktober 1824
Bernhard Henrik Crusell (1775 – 1838) zählt zu den herausragenden Klarinettenvirtuosen seiner Zeit. Bereits 1793 wurde er zum ersten Klarinettisten der königlich schwedischen Hofkapelle in Stockholm berufen, wo er mit Unterbrechungen bis 1833 wirkte. Viele zentrale Werke des Repertoires wurden von Crusell in Schweden erstaufgeführt, darunter – neben zahlreichen Kammermusikwerken – die Konzerte von Franz Krommer, Wolfgang Amadeus Mozart, Franz Tausch und Peter von Winter. Crusell regte in Zusammenarbeit mit dem renommierten Dresdner Instrumentenbauer Heinrich Grenser Weiterentwicklungen im Klarinettenbau an (u. a. zum Klappenmechanismus) und zählt wohl zu den ersten Spielern, die die moderne Mundstückposition – mit dem Blatt an der Unterlippe – zugunsten einer wärmeren, kontrollierteren Klanggestaltung anwendeten.
Neben seiner solistischen Karriere war Crusell auch ein produktiver Komponist. Sein Schaffen umfasst neben Kammermusik, Liedern und einer Oper vor allem virtuose Werke für Blasinstrumente. Insbesondere seine Klarinettenkompositionen, darunter drei Solo konzerte, die er ursprünglich für den eigenen Gebrauch schrieb, erreichten eine weite Verbreitung und haben sich bis heute im Repertoire gehalten. Die Entstehungsreihenfolge dieser drei Konzerte ist nicht zweifelsfrei zu klären. Eine gelegentlich anzutreffende moderne Nummerierung bezieht sich lediglich auf die Opuszählung der Druckausgaben:
Das Konzert op. 1 in Es-dur wurde 1811 von Ambrosius Kühnels Bureau de Musique in Leipzig publiziert; drei Jahre, bevor Carl Friedrich Peters den Verlag übernahm. Das Grand Concerto op. 5 in f-moll erschien 1817 bei C. F. Peters. Crusells Bdur Konzert op. 11 wurde zwar erst 1829 im selben Verlag veröffentlicht, aufgrund der musikalischen Konzeption und stilistischen Nähe zu den französischen Solokonzerten des frühen 19. Jahrhunderts kann aber vermutet werden, dass das Werk (zumindest in Teilen) wesentlich früher entstand, jedoch bis zu seiner Veröffentlichung einige Umarbeitungen und Änderungen erfuhr.
Die Komposition des Konzerts in f-moll reicht mindestens ins Jahr 1815 zurück, wie aus der Ankündigung eines „neuen Klarinettenkonzerts“ hervorgeht, das von Crusell am 18. März 1815 in Stockholm aufge führt wurde (vgl. Fabian Dahlström, Bernhard Henrik Crusell, Helsinki 1976, S. 120, 257). Dass es sich dabei definitiv um das f-moll-Konzert handelt und nicht etwa um eine überarbeitete Neufassung des Schwesterwerks in B-dur, geht aus der Beschreibung in einem Artikel in der Allgemeinen musikalischen Zeitung hervor, wo von einem „Adagio mit Eccho“ die Rede ist (AMZ, 5. Juli 1815, Sp. 451), was nur auf den langsamen Mittelsatz des Grand Concerto in f-moll passt.
Die Drucklegung des Konzerts als sein Opus 5 nahm Crusell 1817 in Angriff, nachdem er die Zustimmung des dafür vorgesehenen Widmungsträgers, Zar Alexander I., erhalten hatte. Am 25. April schrieb er seinem Leipziger Verleger C. F. Peters: „Sie erhalten sehr bald mein neuester grand Concerto pour la Clarinette, in F moll. [...] Ich habe kürzlich vom Kayser von Russland Erlaubnis erhalten, Ihm ein Werk zuzueignen, und habe zwar dieses Concert dazu bestimmt. – Da man die Grossen nicht gerne lange warten las sen muss, so ersuche ich Sie [...] die Ausgabe dieses Werkes zu beschleunigen“ (zitiert nach Dahlström, Crusell, S. 240). Ein weiterer, bislang unveröffentlichter Brief belegt, dass Crusell bereits vier Tage später Partitur und Stimmen an Peters schickte: „Hierbei folgt nun dieses [im vorigen Brief angekündigte] Werck [...]. Durch die schnelle Abreise des Briefträgers, sind die Stimmen et was nachlässig geschrieben worden. Da ich aber die Partitur beigefügt habe, so hoffe ich, daß durch die Vergleichung mit dieser, die Stimmen deutlich ge druckt werden können. – Ich wünsche nur noch daß die repliken [= Stichnoten] mit kleinen Noten angezeigt wer den mögten“ (Brief an C. F. Peters vom 29. April 1817; Frankfurt, Universitäts bibliothek Johann Christian Sencken berg, Signatur Mus. Autogr. B. Crusell A 1 – 12).
Zeitgenössische bibliographische Anzeigen belegen, dass die Druckausgabe spätestens im Oktober 1817 vorlag (vgl. Allgemeines Verzeichniß der Bücher, welche in der Frankfurter und Leipziger Michaelismesse [d. h. An fang Oktober] des 1817 Jahres [...] ganz neu gedruckt [...] worden sind, Leipzig 1817, S. 478, sowie Johann Conrad Hinrichs, Verzeichniß neuer Bücher, die vom July bis December 1817 wirk lich erschienen sind, Leipzig 1817,
S. 82). Leider sind weder die in Crusells Brief erwähnte Partitur noch die Stimmenabschriften erhalten, sodass die Erstausgabe (in Stimmen) die einzige Quelle unserer Edition darstellt.
Das f-moll-Konzert gehört mit seiner gleichermaßen originellen Melodik wie schlüssigen thematisch-motivischen Arbeit sicherlich zu Crusells überzeugendsten und meistgespielten Werken. Crusell selbst war offensichtlich von der repräsentativen Wirkung seiner Komposition derart überzeugt, dass er sich 1826 auf einem Gemälde des schwedischen Malers Johan Gustaf Sandberg mit einem Notenblatt, auf dem das erste Thema des f-moll-Konzerts zu erkennen ist, porträtieren ließ. Eine Rezension in der Allgemeinen musikalischen Zeitung belegt ebenfalls die durchaus positive Rezeption des Werks: „Hr. C., erster Kammermusicus und Klarinettist des Königs von Schweden, hat sich seit einigen Jahren durch seine Compositionen für sein Instrument nicht nur in Deutschland, sondern überall, wo man dasselbe wahrhaft künstlerisch behandelt und zugleich gehaltvolle Instrumentalcompositionen liebt, einen aus gezeichneten Ruf erworben; und alle, die Hrn C. selbst gehört haben, rühmen ihn auch als einen der vorzüglichsten
Virtuosen. Dieses Werk wird jenen Ruf eher mehren, als mindern; und zu gleich dieses Urtheil bestätigen, gehet man die Principalstimme aufmerksam durch, und betrachtet, wie Hr. C. das Instrument in allen, ihm wesentlichen Vorzügen kennet, sie alle geltend macht, und doch nirgends in die Eigenthümlichkeiten anderer Instrumente über schweift, oder auch die Schwierigkeiten für die Ausführung allzusehr häuft“ (AMZ, 5. August 1818, Sp. 559 f.)